Von Anian Liebrand
– Für ein umfassendes Rechtsgutachten hat die «Stiftung Zukunft CH» der Rechtsanwältin Frau Prof. Dr. Isabelle Häner 38 tatsächlich vorgekommene sowie fiktive Fälle zur Beurteilung vorgelegt. Dem Komitee «Nein zu diesem Zensurgesetz!» liegt dieses bemerkenswerte Gutachten nun vor. Das sachlich, nüchtern und hochprofessionell erarbeitete Gutachten von Prof. Häner und ihrem Team gibt dem Abstimmungskomitee Anlass zur Besorgnis: Die Erweiterung der Rassismus-Strafnorm um das Kriterium der sexuellen Orientierung kriminalisiert unter Umständen aus Gewissensgründen verweigerte Leistungen und schränkt das Feld des Sagbaren noch mehr ein. Die Folgen: Noch mehr kontraproduktive Verwirrung und Rechtsunsicherheit – beides Gift für eine plurale, auf Meinungsvielfalt basierende Demokratie.
Gravierende Einschnitte
Besonders gravierend wären laut dem Gutachten die zu erwartenden Einschnitte in die Gewissens-, Glaubens- und Gewerbefreiheit durch Absatz 5 der Strafnorm («Leistungsverweigerung»). Eine Organisation für Adoptionsvermittlung, die ihre Dienstleistungen nur heterosexuellen Paaren anbieten will, weil sie die Ansicht vertritt, dass Kinder idealerweise einen Vater und eine Mutter brauchen, müsste demnach ebenso mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen wie eine Partnervermittlungsplattform, bei der man nur nach Partnern des entgegensetzten Geschlechts suchen kann. Der Konditor, der aus Gewissensgründen keine Torte für eine gleichgeschlechtliche Hochzeitsfeier backen möchte, könnte genauso ins Visier der Strafverfolgung geraten wie die Kirchgemeinde, die einen Organisten, Sakristan oder Seelsorger nicht anstellen will, weil er in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, und diese Lebensweise dem Ethos der betreffenden Kirche widerspricht.
Grundlegende Mängel
Prof. Häner macht auch auf grundlegende Mängel der Rassismus-Strafnorm sowie auf die beträchtliche Ungewissheit aufmerksam, die mit der Erweiterung einherkäme: «Es ist festzuhalten, dass auch die erweiterte Version von Art. 261bis StGB (…) in gesetzes-technischer Hinsicht nicht überzeugt (…). Insbesondere die potenziellen Konflikte mit Grundrechten wie der Meinungsfreiheit oder auch der Glaubens- und Gewissensfreiheit würden aber eine äusserst präzise Formulierung von Art. 261bis StGB erfordern. Im Hinblick auf die Erweiterung des Strafartikels durch das Merkmal der sexuellen Orientierung stellt sich sodann die Frage, ob, wo und wie sich der Staat in Glaubensdogmen der Kirchen einmischen können soll.» Bezogen auf den konkreten Fall des Konditors geht Häner davon aus, dass die Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe aus «Gewissensgründen» nicht als sachlicher Grund für eine Leistungsverweigerung gelten dürfte, «zumal ansonsten Artikel 261bis Absatz 5 StGB mit Berufung auf das Gewissen vollständig ausgehebelt werden könnte.»
Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit
Häner zufolge müsste beispielsweise auch der Bischof von Sion, Jean-Marie Lovey, für seine 2015 in einem Zeitungsinterview gemachte Äusserung, Homosexualität sei eine «Schwäche der Natur», die «geheilt werden kann», unter Umständen künftig mit einer Verurteilung rechnen, vorausgesetzt, es kann ihm der Vorsatz nachgewiesen werden. Dann wäre möglicherweise die Strafbarkeit nicht nur wegen einfacher Diskriminierung nach Absatz 4 gegeben, sondern auch wegen öffentlicher Verbreitung einer
Ideologie, die auf die systematische Herabsetzung der Angehörigen einer sexuellen Orientierung ausgerichtet ist (Absatz 2).
Ungeachtet, ob man die Haltung des Bischofs teilt oder nicht: Für das Abstimmungskomitee ist die Vorstellung, dass dieser kirchliche Würdenträger für diese, im Kontext des Interviews in keiner Weise herabsetzend gemeinte Äusserung strafrechtlich verurteilt werden könnte, speziell für all jene eine Ungeheuerlichkeit, die wissen, wie viel Wertschätzung dieser Bischof jedem Menschen ungeachtet der sexuellen Orientierung entgegenbringt.
Die weiteren im Gutachten geschilderten Fälle zur Meinungsäusserungsfreiheit zeigen ferner, wie gross der Ermessenspielraum des Richters ist, ob er diese oder jene Äusserung als strafwürdig taxiert oder nicht. Dies vermag aufzuzeigen, dass Art. 261bis StGB dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz («nulla poena sine lege certa») nicht gerecht wird.